Kai und die Welt der Turnierreiter

erfolgreich im Schreibwettbewerb "Sattelfest" und Teil der gleichnamigen Anthologie des exlibris-Verlags

Am Freitagabend bereitete sich Kai gründlich auf das C-Turnier vor. Das Zaumzeug seines Ponys Lonzo lag bereits geputzt im Kofferraum des Geländewagens, welcher dann morgen den Pferdehänger mit Lonzo ziehen würde. Nun musste Kai noch seinen Springsattel auf Hochglanz bringen. Er reinigte alle Lederteile sorgfältig mit Sattelseife, damit er sie danach mit Sattelfett einreiben konnte. Ein Springsattel besitzt dicke Pauschen. Dadurch hat der Reiter einen festen Knieschluss und kann beim Sprung über die Hindernisse nicht so leicht herunterfallen. Kai war emsig bei der Arbeit. Es gab viel für ihn zu tun. Auch seine Stiefel mussten noch blank geputzt werden. Seine Tante Monika hatte die weiße Satteldecke gewaschen und zusammen mit dem schwarzen Reitjackett ins Auto gelegt. Die weißen Reithosen, das Hemd und die hübsche Holsteiner Turnierkrawatte, welche ihm Onkel Jochen geschenkt hatte, dürfte er dann morgen früh anziehen. Sein Onkel würde gegen sechs Uhr mit ihm und Lonzo ins Nachbardorf zum Turnierplatz fahren.
Vorher sollte er seine achtjährige Freundin Katja abholen. Die Kinder hatten sich im letzten Sommer kennengelernt, als Katja, die nach einem schweren Autounfall im Rollstuhl saß, zur Reittherapie auf den Reiterhof seines Onkels kam. Kai war damals gerade neun Jahre alt geworden und just in der Nacht zu seinem Geburtstag wurde sein Fohlen Alexander geboren. Die Zeit war sehr aufregend gewesen.
Kai durfte die Nacht vor Alexanders Geburt im Stall neben dessen Mutter, der Schimmelstute Schneeflocke, schlafen. Als er am morgen erwachte, lag ein pechschwarzes Fohlen in der Nachbarbox. Kai war außer sich vor Freude und als Onkel Jochen, dem der Reitstall gehörte, Kais Hand ganz vorsichtig zu dem kleinen Hengst führte, konnte er sein Glück nicht mehr fassen. Onkel Jochen gratulierte nämlich nicht nur Kai zum Geburtstag, sondern er machte ihm das wunderhübsche Fohlen als ersten Gratulanten, der nun auch zusammen mit ihm jedes Jahr am selben Tag Geburtstag feiern würde, zum Geschenk. Nachdem sich der kleine Junge von der Aufregung etwas erholt hatte, wurde es ernst. Es musste ja ein passender Name für den neuen Erdenbürger gefunden werden. Schneeflocke hieß in ihren Papieren Candy und der Vater des kleinen Hengstes hörte auf den Namen Camillo. Weil Pferde immer nach dem Vater benannt werden, sollte es also etwas mit C sein.

Kai hatte gerade eine Geschichte über Alexander den Großen gelesen und war fasziniert von dem starken König, der 336 Jahre vor Christus lebte. Alexanders Hengst hieß Bukephalos und hatte Angst vor seinem eigenen Schatten gehabt. Deshalb konnte ihn niemand reiten, denn der arme Bukephalos scheute jedes Mal, wenn die Sonne hinter ihm hoch am Himmel stand und mit ihren Strahlen seinen Schatten vor ihn auf den Boden warf. König Alexander verstand als einziger, was den stolzen schwarzen Hengst so ängstigte und löste das Problem, in dem er ihn einfach gegen die Sonne stellte. Dann sprang er auf den Rücken des wilden Zauberpferdes und ritt wie der Teufel durch die Reihen seiner Soldaten. Als Kai die herrliche Geschichte erzählte, waren sich alle einig, dass das neue Fohlen des Ponyhofes nun im Equidenpass Cephalos heißen sollte. Jedes Pferd muss in Deutschland einen solchen Pass haben. Darin sind nicht nur der Name und das Geburtsdatum des Pferdes und seines Besitzers eingetragen, sondern auch alle Besonderheiten wie Abzeichen, Fellfarbe und Rasse vermerkt. Kai fand den Namen toll, weil er nicht häufig vorkam und trotzdem gefiel ihm irgendetwas nicht. Cephalos passte noch nicht so ganz zu Alexander. Dann kam ihm die Idee: Er wollte sein Fohlen Alexander nennen. Für den Pass sollte der kleine Frechdachs, der ganz schnell zu Kais bestem Kumpel wurde, aber weiterhin Cephalos heißen.

Natürlich müssten noch drei Jahre vergehen, ehe Alexander das erste Mal einen jungen Reiter auf seinem Rücken tragen dürfte. Aber so würde Kai neben seiner Springausbildung auch die Entwicklung und Aufzucht eines Fohlens hautnah miterleben. Jochen Asmussen war mit seinem Geburtstagsgeschenk für den kleinen Neffen sehr zufrieden gewesen. Kai lernte, Alexander an das Halfter zu gewöhnen und brachte ihm auch unter Anleitung seines Onkels das Hufe geben bei. Das ist sehr wichtig, denn im Englischen gibt es ein Sprichwort: No hoof, no horse. Auf Deutsch übersetzt bedeutet das: Ohne Huf, kein Pferd. Der Hufschmied kommt am Anfang regelmäßig zum Auswerken und wenn ein Pferd erst richtig erwachsen ist und unter dem Reiter geht, muss es alle sechs bis acht Wochen mit Hufeisen beschlagen werden. Pferde, die dann die Hufe nicht bereitwillig zur Pediküre anheben wollen, verursachen natürlich viel Mehrarbeit.

Kais achtjährige Freundin Katja war nach einem schweren Autounfall, bei dem auch ihre Mutter verletzt wurde, gelähmt und erhielt Reittherapie. Kai brachte das traurige kleine Mädchen wieder zum Lachen. Die beiden wurden schnell Freunde. Zusammen bestanden sie den Basispass Pferdekunde und Katja war auch in den Herbstferien als Zuschauerin dabei gewesen, als Kai mit Wertnoten von 8,5 in der Dressur und 8,8 im Springen bravourös die Prüfung zum kleinen Reitabzeichen ablegte. Wer Turniere reiten möchte, die über die Kategorie C hinausgehen, muss zuerst den Basispass Pferdekunde besitzen. Auf einem einwöchigen Lehrgang lernt man alles über Pferdepflege, Pferdegesundheit, Fütterung und  Zubehör. Ein Pferd ist ja kein Spielzeug, welches wie ein Fußball abgelegt werden kann. Es braucht artgerechte Haltung und regelmäßige tägliche Pflege. Darüberhinaus kostet so ein vierbeiniger Partner sehr viel Geld. Das Grundwissen, welches im Basispass vermittelt wird, ist also wichtig, wenn man Freude an seinem Pferd haben will.
Beim Reitabzeichen muss dann auch das reiterliche Können unter Beweis gestellt werden. Man beginnt mit dem Kleinen Reitabzeichen und hat ein E-Springen sowie eine E-Dressur mit Wertnoten ab 5,0 vor den gestrengen Augen der Richter zu absolvieren. Eine mündliche Prüfung muss ebenfalls bestanden werden.

Kais Onkel war früher selbst erfolgreich Turniere geritten und hatte es sogar bis zur Teilnahme am Hamburger Springderby gebracht. Auch seine Tochter, Kais achtzehnjährige Cousine Saskia, konnte auf eine Karriere als Ponydressurreiterin zurückblicken. Kais Traum war ein ebenso guter Springreiter wie sein Onkel zu werden. Dieser hatte nun damit begonnen, den vielversprechenden Neffen zusammen mit Springpony Lonzo für einige Hallenturniere zu nennen. Den Auftakt sollte das C-Turnier im Nachbardorf machen. Kai gehörte mit seinem Kleinen Reitabzeichen noch in die Leistungsklasse 6. Um in die höhere Leistungsklasse 5 zu kommen, muss er das Bronzene Reitabzeichen bestehen und sich auf Turnieren qualifizieren. Man startet mit Springen der Kategorie E, in der die Hindernisse zwischen 80 cm und 1 m hoch sind. Natürlich wird die Hindernishöhe der Größe der Pferdchen etwas angepasst. Der Reiter soll ja drüber hinweg springen und nicht unter durch laufen können. Kais Pony Lonzo überwand sogar mühelos Hindernisse der Kategorie L, aber Jochen Asmussen wollte seinen Neffen nicht überfordern. Kai sollte behutsam an die nächst höheren Aufgaben herangeführt werden und erst genügend Routine und Sicherheit in Sitz und Einwirkung erlernen. Die gefestigten Techniken des Anreitens, sauberen Absprungs und der Landung sind beim Springreiten ebenso wichtig wie der runde gleichmäßige Galopp zwischen den Sprüngen und ein ruhiges Tempo.
Das E-Springen morgen war ganz nach Kais Geschmack, doch sein Onkel hatte zusätzlich darauf bestanden, dass er auch die E-Dressur mit reiten sollte. Lonzo hasste die Dressur. Er wurde schrecklich faul dabei und wollte nicht gerne am Zügel gehen, denn das bedeutete vollste Konzentration auf die Aufgabe, die Reiterhilfen und seine Bewegungen. Beim Springen konnte er den Hals lang machen und über die Hindernisse fliegen. Das gefiel dem kleinen braunen Pony mit der wuscheligen Mähne besser, als sich artig und gelöst im Dressurviereck zu präsentieren. Kai musste viel treiben, aber er lernte dadurch seinen Sitz zu verbessern und seine Hilfen optimal einzusetzen. Der Onkel wusste, warum er ihn weiterhin Dressurprüfungen reiten ließ. In den höheren Klassen würde ein Pferd ohne Dressurausbildung nicht besonders weit kommen. Springen ohne Dressur gab es nicht. So fügte sich Kai den Wünschen seines erfahrenen Reitlehrers.

Die Startnummer für den morgigen Turniertag besaß er bereits, denn Tante Monika war im Nachbardorf vorbeigefahren und hatte Kais Startbereitschaft erklärt. Die E-Dressur würde nämlich schon um sieben Uhr in der Frühe beginnen und Kai sollte als fünfter Teilnehmer drankommen. Kai schnaufte. Lonzo stand noch auf der Weide. Er musste geputzt und eingeflochten werden. Bei seiner dichten Mähne war das immer ein Problem. Aber Kais Cousine Saskia würde ihm helfen. Sie konnte sehr gut Pferde einflechten. Während er seinen Sattel putzte, hörte er nebenan zwei Mädchen mit einander schwatzen und kichern. Auch Sabrina und Pamela, die beide zwölf Jahre alt waren, hatten ihre Nennungen für das Turnier morgen abgegeben. Sie würden in der E- und A-Dressur starten.
„Du, Kai, hast du noch Mähnengummis?“, fragte die blonde Pam, als Kai gerade seinen Sattel anheben und ins Auto bringen wollte. „Klar, schau mal in meinem Putzkasten nach. Aber nimm nicht alle. Saskia braucht sie noch für Lonzo. Außerdem habt ihr Null Chancen!“, antwortete Kai lachend. „Also, in der Dressur kannst du mit Lonzo bestimmt keinen Blumentopf gewinnen. Der schläft doch schon ein, wenn er in die Halle einreiten soll“, neckte Sabrina. „Wer schläft hier mit wem? Hab ich etwas verpasst?“ Ein kleines Mädchen mit blonden Locken und einem roten Anorak bekleidet, steckte neugierig ihren Kopf durch die Stalltür. „Katja, schön, dass du kommst. Die anderen ärgern mich!“, rief Kai erfreut aus, als er seine Freundin erblickte, die mit zwei blau-weißen Gehilfen in der Hand, langsam auf ihn zu ging. „Wer ärgert dich? Ach, dass sind ja Pam und Sabrina! Die werden dann schon ihre Gründe dafür haben“, lachte die Kleine schelmisch.

Kai nahm seine Lederreitstiefel und begann diese zu bürsten, bis das Leder glänzte. Zufrieden besah er sich sein Werk. Dann zog er eine Schnute, blickte Katja von der Seite an und fragte: „Sollten wir dich nicht morgen früh um sechs Uhr abholen? Vielleicht vergessen wir das ja?“ „Unterstehe dich. Ich freue mich mehr als du auf deine Turniere. Irgendwann lerne ich auch richtig zu reiten und dann werden wir Konkurrenten. Aber ich glaube, ich will lieber nicht springen. Dressur ist auch viel schöner. Papa sagt, Springen ist gefährlich und er will nicht, dass mir etwas passiert. Aber wenn ich mit der Therapie fertig bin und wieder gesund werde, wollen mir meine Eltern ein eigenes Pony schenken.“
Kais Augen wurden immer größer. „Hey, vielleicht darfst du ja auf Schneeflocke üben, wenn ich Onkel Jochen bitte. Saskia hat sicher nichts dagegen. Schneeflocke ist das beste und bravste Dressurpony aller Zeiten“, meinte Kai mit ernster Miene. „Das ist eine gute Idee. Du kannst mir gleich beim Einflechten helfen, Katja. Magst du?“, erwiderte Saskia.
Die achtzehnjährige Abiturientin hatte zufällig mitgehört und freute sich sehr für das kleine Mädchen. Kai nahm sich einen Führstrick und lief zur Weide, um Lonzo zu holen. Alexander wieherte kläglich, als er seinen Freund vorbei kommen sah. Er wollte so gerne mit ihm spielen, doch dafür hatte Kai heute Abend keine Zeit. Er sah schon von weitem die Bescherung. Lonzo hatte sich wieder gewälzt und war voller Dreck und Schlamm. Kai würde mindestens eine halbe Stunde brauchen, um das Pony wieder halbwegs herzurichten.
Fröhlich wiehernd lief Lonzo auf ihn zu. Dass er dreckig war, interessierte den kleinen Wallach nicht im Geringsten. Er freute sich auf seinen warmen Stall, Heu und Futter und hoffte auch darauf, noch die eine oder andere Mohrrübe ergattern zu können. Im Stall begann Kai gleich mit dem Striegel Lonzos Fell aufzurauen. Bis er die Hufe ausgeräumt und den Schweif gesäubert hatte, verging wirklich viel Zeit. Pamelas und Sabrinas Pferde standen schon fix und fertig eingeflochten in der Box, als Kai endlich auch Saskia herbeirufen konnte. Schnell und geschickt flocht diese dann etliche kleine Zöpfchen in Lonzos Mähne, welche mit weißem Klebeband umwickelt wurden. Wenn alles gut lief, würden sich die Zöpfe über Nacht nicht lösen. Aber sie wird wie immer, am nächsten Morgen frühzeitig nach schauen. Mit ein paar Handgriffen ließ sich das Malheur schnell beheben. Auch Tante Monika kam kurz zur Stippvisite. Liebevoll legte Kais Tante den Arm um Katja.
„Dein Papa wartet draußen, wir holen dich morgen um sechs  Uhr ab“, lächelte sie. Katja verabschiedete sich herzlich von Kai, seiner Tante und den anderen Mädchen. Auch Kai und Saskia gingen ins Haus, nachdem sie Lonzo in die Box gestellt hatten. Der vergessliche Lausejunge Kai musste noch einmal schnell zurück laufen, um das Licht auszuschalten. Aufgeregt und voller Vorfreude schlief er eine Stunde später in seinem Zimmer ein.

Am nächsten Morgen lag Schnee auf den Feldern. Die Landschaft sah prächtig aus, doch dafür hatte Kai keine Augen. Onkel Jochen weckte ihn etwas früher, weil die Straßen vereist waren und sie dementsprechend langsamer fahren müssten. Mit sicheren Handgriffen kuppelte der Reitstallbesitzer den Hänger an seinen großen Geländewagen und öffnete dann die hintere Klappe des Pferdeanhängers. Kai führte Lonzo die Rampe hinauf und wartete mit dem Anbinden, bis sein Onkel die hintere Stange eingehakt hatte. Dann wurden die Türen verschlossen. Eine knappe halbe Stunde später konnte Kai in der Abreitehalle des Nachbarvereins aufsteigen. Katja half ihm, so gut sie es mit ihren Gehhilfen konnte. Auch Kais Onkel hatte sich eingefunden und unterhielt sich mit einem Bekannten. Kai ließ Lonzo am langen Zügel Schritt gehen, um ihn zu lösen. Nach zehn Minuten fing er an, langsam anzutraben und wunderte sich. Die Kälte schien Lonzo von allein vorwärts zu treiben. So willig kannte er ihn gar nicht. Nach und nach wärmte sich das Pony auf und begann nach einer Weile die Anlehnung zu suchen. Die Dressurprüfung hatte begonnen. Jochen Asmussen gab seinem Neffen noch ein paar kurze Anweisungen. Dann öffnete er die Tür und führte Pferd und Reiter in die große Halle. Routiniert ritt Kai ein.

„In der Bahn begrüßen wir die Nummer 34. Kai Thomsen auf Lonzo“, erklärte der Hallensprecher. Kai trabte auf der rechten Hand einmal herum und parierte dann bei B zum Schritt durch.
Die Bande einer Reitbahn ist durch Buchstaben und Punkte gekennzeichnet. M,B,F,A,K,E,H,C und in der Mitte X heißen diese Punkte. Man kann sich die Bezeichnung am besten mit einer Eselsbrücke merken:
M,B,F,A,K,E,H,C= Mein Bester Freund Anton Kann Einen Heben, Cheers.
Kai musste unwillkürlich lächeln. Er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, beim Einreiten zu einer Prüfung stets an diesen Text zu denken, um dann alles andere um sich herum auszuschalten, so dass er sich nur noch auf seine Prüfungsaufgabe konzentrieren brauchte.
Die Stimme des Sprechers erklang: „Bitte anfangen!“  
Kai kannte seine Aufgabe auswendig. Es war die E 5.

Einreiten, im Mittelpunkt halten, grüßen. Lonzo hielt den Kopf gesenkt und kaute. Er ging brav am Zügel. Kai saß aufrecht im Sattel und gab die ganze Parade zum Halten. Er wagte es nicht zur Seite in den Spiegel zu sehen, um sich zu vergewissern, dass Lonzo mit allen vier Beinen auch geschlossen stand. Kai nahm die Zügel in die linke Hand, tippte mit der Rechten einmal an die Kante seines Reithelmes und nickte mit dem Kopf. Die beiden Richter im Glaskasten erwiderten den Gruß. Kai blickte zu seinem Onkel. Jochen Asmussen senkte verhalten die Augen. Gut, also stand Lonzo richtig. Kai trabte energisch an und stand bereits gleich zum leichttraben auf dem richtigen Fuß auf. Er ritt gerade auf C zu, wendete nach rechts ab und bemühte sich die Ecke tief auszureiten. Er spannte sein Kreuz an, saß kerzengerade im Sattel und schaute nach vorne. Auch die nächste Ecke wurde tief mit einer Viertelvolte ausgeritten. Bei K wendete er ab. Durch die ganze Bahn wechseln. Bei B einmal umsitzen und bei C aussitzen. Lonzo ging weiterhin brav kauend vorwärts. Er hatte sich vollends gelöst. An seinem Maul bildete sich Schaum. Kai sah bereits bei C zum Zirkelpunkt. Auf dem Zirkel geritten. Alle Punkte exakt anreiten, nur kein Osterei fabrizieren, dachte er. Aus dem Zirkel wechseln. Erst bei X geraderichten, dann umstellen. Alles klappte. Wieder drehte sich Kais Kopf in Richtung Zirkelpunkte. Seine Hände lagen ruhig und aufrecht auf Lonzos Hals. Die halben Paraden gab er fast unsichtbar, indem seine Zügelfäuste sich nur leicht eindrehten und er glaubte, dabei einen Schwamm auszudrücken. Lonzo ging durchs Genick. Er war ganz weich im Maul. Bei X angaloppieren, auf dem Zirkel geritten, bei A durchparieren zum Trab. Lonzo sprang wie immer im richtigen Handgalopp an, dass konnte Kai bereits fühlen. Bei C durchparieren zum Schritt. Bei M durch die ganze Bahn wechseln. Kai ließ die Zügel etwas länger, damit Lonzo mit dem Kopf nickend schön vorwärts schreiten konnte. Die Zügel nahm er in die linke Hand, um mit der Rechten die Dressurgerte geschickt nach oben herauszuziehen. Einige Schritte vor K nahm er die Zügel wieder auf, trabte in der Ecke an und ging auf den Zirkel. Im Zirkelpunkt links angaloppieren. Lonzo sprang immer richtig an. Auch er konzentrierte sich auf die Reiterhilfen. Bei A ganze Bahn, bei C durchparieren zum Trab, ganze Bahn, bei E abwenden, rechte Hand. Schön gerade auf B zureiten. Kai behielt den Überblick, wendete mit einer Viertelvolte auf die Mittellinie ab und gab direkt im Mittelpunkt die ganze Parade zum Halten, welche er bereits durch mehrere kleine Paraden beim Abwenden vorbereitet hatte. Lonzo stand mit allen vier Beinen geschlossen vor den Richtern. Auch auf seiner Brust hatte sich Schaum abgesetzt. Kai tippte wieder an seine Kappe, nickte den beiden Richtern zu und ließ Lonzo am langen Zügel die Bahn verlassen. Geschafft, dachte er erleichtert.

Jochen Asmussen sah sich die Vorstellung schmunzelnd und stolz an. Kai hatte alles richtig gemacht. Zufrieden half er Katja, die mit Lonzos Abschwitzdecke schon am Ausgang wartete. „Gut gemacht, Junge. Alles war richtig. Besser kann man so eine Aufgabe nicht reiten“, lobte er Kai, der in diesem Moment gar nicht wusste, ob er sich nun mehr über die Worte des Onkels freuen sollte oder über die mögliche Platzierung. Langsam ließ er seinen Lonzo in die angrenzende Abreitehalle hinüber gehen. Da hörten sie auch schon die Wertnote.
 „Und hier ist die Note für die Nummer 34, Kai Thomsen mit Lonzo. Für diese tolle Vorstellung gibt es eine 8,8 und das ist im Augenblick die Führung.“
Viele Zuschauer klatschten. Jochen Asmussen drückte Kais Hand und gab ihm einen anerkennenden Klaps aufs Bein. Katjas Augen leuchteten. Kai erntete ausschließlich bewundernde, teilweise auch etwas neidische Blicke der Zuschauer und Reiter in der Abreitehalle. Nach einer Viertelstunde konnte er Lonzo vorerst auf den Hänger stellen. Das Endergebnis würde erst gegen neun Uhr feststehen, wenn die ganze 1. Abteilung durch wäre. Das Springen sollte um 10.30 Uhr beginnen. In der Familie hatte man sich abgesprochen. Jochen würde bis zur Siegerehrung bei den Kindern bleiben und danach kurzzeitig nach Hause fahren. Währenddessen würde seine Frau die Beaufsichtigung von Pferd und Kindern übernehmen. Pünktlich zur Springprüfung sollte der Chef dann wieder auf dem Turnierplatz sein.

Es wurde ein erfolgreicher Tag für Kai und sein Pony. Stolz ritt er zur Siegerehrung der E-Dressur ein und erhielt neben einer gelben Siegerschleife auch einen großen Pokal für seinen ersten Platz. Als er dann auch noch eine weiße Schleife für den dritten Platz beim E-Springen mit nach Hause nehmen durfte, war sein Glück perfekt. Am Abend spielten Kai und Katja dann fröhlich mit Fohlen Alexander in der heimischen Reithalle. Kais Weg in die Welt der Turnierreiter hatte begonnen.